Kunstkritik

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DIE BILDERWELTEN DER ANNE OLBRICH

Anne Olbrichs Bilder sind Versuche das Geheimnis des Lebens abzubilden und die damit verbundenen Wahrheiten zu suchen. In ihnen legt sie Spuren für sich und andere. Spuren zu  den Heiligen Schriften des Judentums, Spuren zu musikalischen Inspirationen oder zu literarischen Eindrücken, die sich in ihrer Poesie der Linie und der Farbe Bahn brechen. Ihre Bilder nehmen uns an die Hand, helfen uns bei unser eigenen Suche, führen uns hinein in mit Pinsel und Farbe geschaffene Bildwelten, die zu Entdeckungsräumen werden können für unser eigenes Leben.

Anne Olbrich bildet ihre persönliche Suche nach Antworten ab, ihre emotionale Ergriffenheit von Geschichten, ihre Zweifel, ihr Eintauchen in Botschaften biblischer oder profaner Texte. Die für sich gefundenen Antworten gibt sie in der ihr eigenen Bildsprache wieder – in Farbe und Form, in Hell und Dunkel, in Statik und Dynamik, im Streben nach gegenständlicher Eindeutigkeit oder in einer sich dem ersten Blick entziehenden symbolischen, metaphorischen, bisweilen auch gänzlich abstrakten Sprache, die erst dem verweilenden Betrachter tiefer liegende Bedeutungsebenen erschließt.

Olbrichs Arbeiten fordern die Auseinandersetzung ein, denn erst so ergeben sich für den Betrachter Schnittpunkte mit dem eigenen Leben. Schnittpunkte mit dem jeweils selbst Gesehenen, dem selbst Gelesenen, der eigenen Vorstellungswelt, in der jeder Einzelne für sich zu Hause ist.

Der Blick auf ihre Bilder zeigt eine Künstlerin mit vielseitigem Ansatz: neben abstrakter Farbfeldmalerei und fast informell anmutenden, tänzelnden Formspielen finden sich Bilder mit deutlich narrativem Charakter, manchmal auch märchenhaft verklärt, mit Tierdarstellungen wie in Traumgebilden.

Auffallend ist die sichere Beherrschung der Fläche mit dem Pinsel, dessen Duktus bisweilen eine spannungsgeladene Verve offenbart. Mal ist ihr Stil auf das Wesentliche reduziert, mal ist er vielgestaltig und reich an schillernden Facetten. Je nach gewünschter Intensität und Aussage variiert die Künstlerin die eingesetzten Mittel, ändert die Pinselführung und die Erzähldichte. Sie arbeitet mit Kontrasten von scharf konturierten und pointierten Nadelstrichen und weich fließenden, breit anschwellenden Pinselschwüngen, von zarten Tonübergängen bis hin zu einem bisweilen gewittrigen Chiaroscuro. Hell-Dunkel-Malerei, die atmosphärische Stimmungen atmen lässt. Aber gerade da, wo nur wenige – bisweilen kalligrafisch über das Blatt fließende – Pinselspuren Figuren, Gegenstände oder ganze Erzählungen entwickeln, spürt der Betrachter die sich aufladende Spannung mehr als deutlich. Die Arbeiten bleiben geheimnisvoll, tief verschlüsselt und auf mehreren Ebenen lesbar.

Selbst in der Reduktion des Formenvokabulars versteht es die Künstlerin, einen ungeheuren Reichtum und eine vielsagende Tiefe entstehen zu lassen. Ihre Bilder sprechen den Betrachter an, wecken sein Interesse, sie faszinieren, emotionalisieren. Sie zeugen von einem breiten Spektrum in ikonografischer, stilistischer und technischer Hinsicht und bilden letztendlich eine dicht gefüllte Bibliothek der Gedankenwelt der Künstlerin. Ob biblische Geschichten, zeitgenössische Gedichte  oder Erzählungen eines Ingo Cesaro oder eines Paolo Coelho –  Anne Olbrich steigt ein in diese Geschichten, saugt das Gelesene in sich auf und lässt es – als wenn es ihr die Luft zum Atmen geben würde –  in ihrer ureigenen Bildsprache wieder aus sich herausfließen. Die dabei entstehenden, energetisch aufgeladenen Bildwelten werden zum Ausdruck tiefgründiger Reflexionen und Empfindungen.

Michael Koller, wissenschaftl. Mitarbeiter im Kunstreferat der Diözese Würzburg